Monatsspruch Juli

2. Mose 23,2

Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.


Rundbrief Juli 2024

Wir leben in einer Zeit, in der eine solche Ermahnung so passend erscheint, wie eine Winterjacke im Sommer. Wer kann so einen Bibelvers ernst nehmen? Wo uns doch so viel Unrecht, Lug und Trug, Fake News und Bildungslücken der großen Masse umgeben? Wo uns alles zu entgleiten droht, was sich mal „recht/richtig“ angefühlt hat, wo doch heute irgendwie alles ok ist. Und wenn nicht, gibt es heute einen Aufschrei und morgen ist es schon wieder vergessen, weil etwas Neues unsere maximale Aufmerksamkeit von 15 Minuten füllt.

Was ist denn Unrecht? Wir erleben heutzutage so viel davon, dass wir verlernt haben, uns zu empören, leidenschaftlich aufzubegehren und wirklich etwas verändern zu wollen. Stattdessen zucken wir mit den Schultern und beruhigen uns selbst mit Parolen wie: "Die Politik müsste halt was machen"; oder: "Was kann ich schon tun?"

Und genau bei der letzten Frage setzt dieser Bibelvers an. Er steht im Kontext verschiedener Regelungen des sozialen Zusammenlebens für das kleine Volk Israel auf Wüstenwanderschaft. Diese Regelungen wurden dem Volk als 10 Gebote von Gott durch Mose übermittelt, am Berg Sinai. Was für eine spannende Zeit, diese 10 Wegmarken nun im alltäglichen Unterwegssein auszuprobieren, anzupassen, zu verfeinern, zu erweitern.

Jede Gruppe von Menschen, hat sie erstmal eine gewisse Größe erreicht, braucht dringend Regeln für das Zusammenleben. Wir vergessen das vielleicht manchmal, aber Gott hat uns als soziale Wesen geschaffen. Ihm war es wichtig, dass uns bewusst ist, dass wir genau überlegen und sorgfältig bedenken, wie wir handeln, weil alles, was wir tun, immer auch andere betrifft. "No man is an island!" Ich kann mich nicht als Insulaner fühlen, wenn mein Verhalten unmittelbare Auswirkungen auf mein Umfeld hat. Denkt mal darüber nach: Was könntet ihr tun, dass keinerlei mittel- oder unmittelbare Auswirkungen auf andere Menschen, die Umwelt und natürlich euch selbst hat? In positiver wie negativer Hinsicht? Na? Schreibt mir bitte eine Mail, wenn ihr etwas gefunden habt, aber ich weiß jetzt schon, dass mein Posteingang leer bleiben wird. Denn alles, wirklich alles, was wir tun, hat mittel- oder unmittelbare Auswirkungen, auch auf unser Umfeld (ja, auch das für andere unsichtbare Denken wird sichtbar in unserer Haltung, unserem Verhalten). Deshalb hat Gott Regeln aufgestellt, damit das Zusammenleben nicht zum Chaos wird. Aber diese Grundregeln menschlichen Zusammenlebens leben davon, dass die betreffende Gruppe sich an sie hält, sie für sinnvoll erachtet und sie immer wieder bestätigt, anwendet, lebt. Tut sie das irgendwann nicht mehr, wird es schwierig. Der soziale Zusammenhalt bekommt Risse, bröckelt und wird irgendwann ganz zerstört.

Und was machen wir Christen da mittendrin? Mein Eindruck ist oft: zu wenig! Wir sind zu leise, zu wenig klar, zu wenig geradlinig, lassen viel zu oft an den falschen Stellen Fünfe gerade sein und nennen das Nächstenliebe, scheuen uns davor, Konfliktpotential anzusprechen, damit Korrektur, Vergebung und Neuanfang möglich wird und bringen durch unser Handeln oder Nicht-Handeln oft mehr zum Ausdruck, dass wir uns nach unauffälligem angepasstem Miteinander und einem gemütlichen Leben sehnen, als dass wir für Ordnung, Recht, Freiheit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit eintreten. Dabei ist es nicht meine Aufgabe, mich anzupassen und auf dem Weg zu bleiben, der mir keine Mühe macht und mich nicht herausfordert. Es ist meine Aufgabe, mich zu fragen: Wie handle ich, wie spreche ich, wie lebe ich, dass Gerechtigkeit, Freiheit und Barmherzigkeit nicht nur mir, sondern allen Menschen zuteilwerden? Als Mensch, als BürgerIn, als ChristIn?

Ich möchte nicht resignieren, weil das den Geist nicht ruhig macht. Das ist nicht meine Motivation. Darum höre ich nicht auf, mich leidenschaftlich zu empören, barmherzig für die Vergebung zu werben, liebevoll zu konfrontieren und mit Freude zu feiern, dass das Leben, das Gott uns allen geschenkt hat, eines ist, das Sinn macht! Allen Unrecht zum Trotz!

Eure Pastorin


Ein Wort von Bischof Harald Rückert zur aktuellen Situation

Es ist gut, ...
... dass in den letzten Wochen eine neue Leidenschaft für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Landes erwacht ist. Freiheit und Demokratie sind kostbare Güter!

... dass viele Menschen öffentlich bekunden, dass Antisemitismus, völkischer Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Gewalt in keiner Weise hingenommen werden können. Die Würde von Menschen ist unantastbar!

... dass Menschen in unseren Gemeinden ein sehr klares Urteil haben und sich positionieren. Sie wissen sich dem Evangelium verpflichtet und füllen die daraus abgeleiteten »Sozialen Grundsätze« unserer Kirche mit Leben.

... dass Menschen in der Nachfolge Jesu sich aktiv einsetzen für Menschenwürde und Menschenrechte. Das entspricht dem, wie die Bibel Gott bezeugt und wie sie den Menschen als Gottes Ebenbild beschreibt.

... dass sich die christlichen Kirchen in unserem Land in diesen Grundfragen einig sind und Stellung beziehen gegenüber Antisemitismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Hier gibt es keine Kompromisse. Der gesellschaftliche Fokus ist derzeit aus erkennbaren Gründen auf den Rechtsextremismus ausgerichtet. Gleichzeitig gilt es, auch wachsam zu sein gegenüber anderen Entwicklungen, die ebenfalls dem Evangelium widersprechen. Das Nein der biblischen Botschaft zu menschenverachtendem Reden und Handeln gilt jeder Ausprägung inakzeptablen Verhaltens –von »rechts«, von »links«, aus religiösen Motiven oder woher es sonst gespeist sein mag.

 

Leider ...

... können viele Menschen etliche aktuelle politische Entscheidungen nicht mehr verstehen. Verunsicherung und die Sorge vor wirtschaftlichem und sozialem Abstieg nehmen zu.

... verstärkt sich eine Entwicklung in unserer Gesellschaft, bei der demokratische Prozesse und Institutionen im Allgemeinen angezweifelt und verächtlich gemacht werden.

... agieren die etablierten demokratischen Parteien mitunter ungeschickt. Menschen fühlen sich nicht wahrgenommen und abgehängt.

... verstärken sich Tendenzen, dass nicht mehr miteinander geredet wird. Persönliche Interessen oder Gruppenüberzeugungen werden so stark in den Mittelpunkt gestellt und verteidigt, dass ein Miteinander und die Bereitschaft zum Kompromiss auch über unterschiedliche Sichtweisen und Bedürfnisse hinweg auf der Strecke bleiben.

... werden Menschen mit einer anderen Meinung zu einem der vielen sehr komplexen Themen, die derzeit Politik und Gesellschaft herausfordern, ganz schnell »abgestempelt« und in Schubladen geschoben. Das konstruktive Zuhören und Aufeinander-Eingehen in Zuspruch und Widerspruch findet kaum mehr statt. Das notwendige gemeinsame Ringen unterbleibt. Wer anders ist als man selbst, wird abgeschrieben und kann schnell zur Zielscheibe von bösen Attacken, von Hass und Verleumdung werden.

... verstärken sich radikalisiertes Denken und Reden in unserer Gesellschaft. Extreme Haltungen sind »sagbar« geworden und gewinnen an Einfluss, auch weil die sozialen Medien diese in Windeseile verbreiten und verstärken.

... ist mit vielen dieser Entwicklungen der Boden bereitet für verführerischen Populismus, scheinbar einfache Lösungsangebote, Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und die Pflege von Feindbildern. Nicht zuletzt führt das zu einem in Deutschland nicht mehr für möglich gehaltenen Aufblühen des Antisemitismus. Längst bewältigt geglaubtes, extremes nationalistisches Gedankengut breitet sich aus und nistet sich in den Köpfen der Menschen ein. Misstrauen und Hetze drohen unsere Gesellschaft auseinanderzutreiben.

 

Liebe Schwestern und Brüder in der Evangelisch-methodistischen Kirche,

mit diesen Zeilen wende ich mich an euch. Statt einer öffentlichen Erklärung, was »die Haltung der Evangelisch-methodistischen Kirche und der Menschen dieser Kirche ist«, liegt mir am Herzen, euch direkt anzusprechen. Das Zeugnis der Bibel und die daraus abgeleiteten »Sozialen Grundsätze« unserer Kirche sind unmissverständlich. Der Schrecken der beiden Weltkriege und die Gräueltaten des NS-Regimes führten dazu, dass im Nachkriegs-Deutschland und im inzwischen wiedervereinigten Deutschland der Schutz der unantastbaren Würde des Menschen bewusst im Grundgesetz verankert ist und als Richtschnur staatlichen Handelns dient. Extreme politische Gruppierungen und Parteien – egal welcher Couleur –, die diesen Grundsatz aufgeben oder untergraben, stellen sich außerhalb unserer gesellschaftlichen Ordnung und sind nicht zu akzeptieren.

Einige von euch beteiligen sich an den vielerorts stattfindenden Demonstrationen gegen menschenverachtenden Rechtsextremismus. Tut dies weiterhin mit Überzeugung und Klarheit. Doch tut dies mit menschenfreundlicher Gesinnung und einem klaren Blick, der auch inakzeptables Reden und Tun aus anderen Richtungen wahrnimmt und brandmarkt. Es ist beispielsweise auch nicht hinzunehmen, wenn bei pro-palästinensischen Demonstrationen der Terror der Hamas verharmlost, das Existenzrecht Israels bestritten und die Auslöschung des Staates Israel propagiert werden.

Es ist gut, auf den Marktplätzen mit vielen anderen zusammen gegen extremistisches Reden, Denken und Handeln einzutreten. Ungleich schwerer ist es, gerade in den Einzelbegegnungen des Alltags mutig und klar zu sein. Doch genau das ist nötig, um die in der großen Menge demonstrierte Einheit und Botschaft im Alltag zu leben.

Einige von euch meinen, dass eure Anliegen bei der AfD besser aufgehoben seien als bei den etablierten Parteien. Eure Beweggründe dafür mögen unterschiedlich sein. Ich vermute, dass die wenigsten von euch – wenn überhaupt – das in der AfD beförderte völkisch-nationale Gedankengut oder Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit für richtig und gut befinden. Bitte haltet euch offen für das Gespräch darüber und stellt euch kritischen Fragen. Zugleich erinnere ich euch daran: Seit ihrer Gründung ist es dieser Partei zunehmend schwergefallen, sich von rechtsextremem Gedankengut deutlich, klar und dauerhaft abzugrenzen. Inzwischen wurden Teile der Partei und einzelne Personen in herausgehobener, einflussreicher Stellung vom Verfassungsschutz als eindeutig rechtsextrem eingestuft. Darum bedenkt ernstlich, was ihr bei einer möglichen Stimmabgabe für diese Partei tatsächlich unterstützt.

 

Liebe Schwestern und Brüder, lasst uns ...
... versuchen, in unseren Gemeinden, am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft das Gespräch über die derzeitigen großen Herausforderungen zu wagen. Ich weiß, dass dies unglaublich schwierig ist. Manchmal herrscht der Eindruck vor, als könnte das überhaupt nicht gelingen, da die Wahrnehmungen und Überzeugungen derer, die miteinander kommunizieren sollten, komplett unterschiedlich sind. Dennoch! Das ernste, aufrichtige und klare Gespräch ist die einzige Alternative.

... einander als Menschen achten. Es ist leicht, übereinander zu sprechen. Dabei geschieht es schnell, einander nur noch als Gegner zu sehen. Das kann sogar dazu führen, im Gegenüber nicht mehr einen Menschen aus Fleisch und Blut zu sehen, nicht mehr einen Menschen mit Gefühlen und Bedürfnissen, nicht mehr einen Menschen als Ebenbild Gottes.

... versuchen, auf der Grundlage der klaren Ablehnung von völkischem Nationalismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt einander zuzuhören und aufeinander einzugehen.

... versuchen, ungeachtet unterschiedlicher politischer Überzeugungen, gemeinsam für Menschenwürde, Freiheit und Demokratie einzutreten.

... aufrichtig und mutig unsere biblische Überzeugung leben, dass Gott in seinem Sohn Jesus Christus zur Welt gekommen ist und unter uns »das Wort von der Versöhnung« aufgerichtet hat. Als mit Gott versöhnte Menschen, werden wir zu Botschafterinnen und Botschaftern der Versöhnung (2. Korintherbrief 5,18-20). So sind wir beauftragt, zu versöhnen und nicht zu spalten, zu heilen und nicht zu zerstören, zu verbinden und nicht zu trennen. Dazu schenke uns Gott die nötige Kraft, den nötigen Mut und die nötige Weisheit.


Mit herzlichen Segensgrüßen,
Bischof Harald Rückert

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