Ein Herz und eine Seele

Auslegung für den 14.6.2020 von Hartmut Kraft

Alle, die zum Glauben an Jesus gefunden hatten, waren ein Herz und eine Seele. Niemand betrachtete sein Eigentum als privaten Besitz, sondern alles gehörte ihnen gemeinsam. Mit großer Überzeugungskraft „ „berichteten die Apostel von der Auferstehung des Herrn Jesus, und alle erlebten Gottes Güte. Keiner der Gläubigen musste Not leiden. Denn wenn es an irgendetwas fehlte, war jeder gerne bereit, Häuser oder Äcker zu verkaufen und das Geld den Aposteln zu übergeben. Die verteilten es an die Bedürftigen. Josef, ein Levit aus Zypern, gehörte auch zu denen, die ihr Hab und Gut zur Verfügung stellten. Die Apostel nannten ihn Barnabas, das heißt übersetzt: ‚der anderen Mut macht‘ Er verkaufte seinen Acker und überreichte das Geld den Aposteln.

Apostelgeschichte 4,32-37

Alltag

Es ist wieder Alltag. Mindestens vom Kirchenjahr her   sind wir in der Zeit der langen Reihe von Sonntagen nach Trinitatis angekommen. Im englischen Sprachraum wird diese Zeit „Ordinary Time“, Alltag, genannt. Doch auch wenn im kirchlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben so einiges wieder angelaufen ist: vom Vor-Corona-Alltag sind wir noch sehr weit entfernt. In mancherlei Hinsicht tat die Unterbrechung und Infragestellung des Alltags vielen von uns gut. Anderes, das bis vor gut drei Monaten selbstverständlich war, vermissen wir schmerzlich. Je länger desto mehr ahnen wir, dass es keinen mit dem „Vor-Corona- Alltag“ identischen „Nach-Corona-Alltag“ geben wird. Gerade sind wir dabei, uns in einem neuen „Mit-Corona- Alltag“ zurecht zu finden. Das fordert uns heraus, als Einzelne und als Gemeinden. Zum Alltag mit Gott gehört es, dass Routinen durchbrochen und Menschen vor neue Herausforderungen gestellt werden. Die Bibel ist voller Geschichten, die davon erzählen. Doch Gott bleibt gleichzeitig verlässlich. Die Psalmen z.B. ermutigen uns, Gott allezeit zu loben; allezeit auf seine Barmherzigkeit zu vertrauen; allezeit auf ihn zu hoffen; allezeit nach ihm zu suchen. Wenn es Menschen gibt, die wissen, wie es sich anfühlt, wenn im Alltag plötzlich nichts mehr ist wie es war, dann sind das die Psalmisten. Es bleibt auch die Zusage Jesu, alle Tage bis an das Ende dieser Welt bei den Seinen zu sein.

Begeistert, einfach, liebevoll

In der Apostelgeschichte lesen wir, wie die ersten Christen nach Pfingsten in einem neuen Alltag ankamen. Sowohl äußerlich durch die bunte Zusammensetzung als auch inhaltlich setze sich die neu gegründete Gemeinde von ihrem Umfeld ab. Sie waren „ein Herz und eine Seele“. Der Arzt Lukas, der das nach ihm benannte Evangelium und die Apostelgeschichte ungefähr eine Generation nach den beschriebenen Ereignissen verfasst hat, hat diese Charakterisierung der ersten Christen recherchiert. Um seinem Freund Theophilus von Jesus und der Entstehung der christlichen Mission zu berichten (Lukas 1,1-4), sammelte er u.a. Informationen über die ersten Gemeinden. „Ein Herz und eine Seele“ als Beschreibung der ersten Christen ist nicht satirisch gemeint, wie bei der gleichnamigen Fernsehserie aus den 70er Jahren der Fall war. Obwohl Lukas wusste, dass die Gemeinde später in Schwierigkeiten geraten ist, hielt er fest, dass die Gemeinschaft zu Anfang eine ganz besondere war. Die junge Gemeinde in Jerusalem wäre für die meisten von uns wohl etwas zu radikal gewesen. Ihre Überzeugungen und die daraus erwachsene Lebensweise bedeutete für alle, die dazugehörten einen markanten Einschnitt. Die ersten Christen waren zutiefst davon überzeugt, dass sie zu ihren Lebzeiten auf der Erde noch die Wiederkunft Christi erleben würden. Sie gingen fest davon aus, dass es nicht lange dauern würde. Daraus leiteten sie ab, dass aller persönlicher irdischer Besitz seine Bedeutung verloren hat. Sie nutzten ihr Geld und sämtliche Besitztümer, die sie versilbern konnten, um damit die tägliche Versorgung aller in der Gemeinde zu sichern. „Ein Herz und eine Seele“ war kein bloßes Ideal, sondern beschrieb die täglich gelebte Gemeinschaft.

So einfach ist es aber nicht

Das alles klingt richtig gut. So eine Gemeinde ist klar in ihrer Ausrichtung, eindeutig in ihrem Verhalten, eine beeindruckende Gemeinschaft und übt eine große Anziehungskraft aus. Das Idealbild einer Gemeinde! Aber... Ja, es gibt auch ein „Aber“, denn leider hat das Ganze nicht lange gehalten. Eigentlich müsste man sogar sagen, dass dieser „urchristliche Liebes-  kommunismus“, wie das Verhalten der Gemeinde auch genannt worden ist, in Wirklichkeit krachend gescheitert ist. Erst gab es manche, die nur scheinbar alles gaben (Hananias und Saphira; Apostelgeschichte 5). Danach traten Unzufriedenheiten u.a. wegen der Versorgung von Witwen auf (Apostelgeschichte 6). Auch in der Urgemeinde entstand bald Regelungsbedarf. Und schließlich waren schon nach wenigen Jahren alle Rücklagen der Gemeinde aufgebraucht und sie waren angewiesen auf eine Sammlung, die Paulus unter den später entstandenen Gemeinden durchgeführt hat (2. Korinther 8). Zu all dem kam eine gewisse inhaltliche Erschütterung angesichts der ausbleibenden Wiederkunft Christi und mancher Geschwister, die in der Zwischenzeit verstorben waren. Wie sollte das alles eingeordnet und verstanden werden? Der gesamte Vorgang wirft Fragen auf. Geht es hier nur um eine Gemeinde- Utopie? Ist es ein Idealbild, das von der Realität klar zu unterscheiden ist? Oder ist die Geschichte doch eine Aufforderung an uns, genauso radikal zu leben wie die Urgemeinde oder wie es in der Kirchengeschichte vor allem manche Orden immer wieder unternommen haben?

Zum Wesen der Jerusalemer Gemeinde ...

... gehörten einige Eckpunkte, die sich folgendermaßen beschreiben lassen:

- Die Gemeinde war bunt zusammengesetzt. Das galt besonders im Blick auf die sozialen Hintergründe der einzelnen. Arme und reiche Personen waren in der Gemeinde vereint.

- Die Gemeinschaft lebte vom Glauben an Jesus Christus. Das hielt sie zusammen. Sie erlebten, wie Gott in allen zum Wohl aller gegenwärtig war. Die Liebe war das Band der Gemeinde.

- Die Erwartung, dass Jesus wiederkommen wird, war lebendig. Allen war bewusst, dass das angebrochene Reich Gottes zum Ziel geführt werden würde. Daran orientierte sich das gesamte Leben

- Die Gemeinde hatte erkannt, dass sie nicht so tun konnte, als ob der persönliche Besitz nichts mit dem Glauben zu tun hätte. Etwas zu besitzen bedeutet Verantwortung für andere zu haben. Das Teilen und Abgeben war darum wichtiger als das Bewahren des eigenen Besitztums.

Fünf Anregungen für uns

1. Erkenne den Reichtum der Gnade Gottes . Jesus wurde um deinetwillen arm, verzichtete auf alles, damit du leben kannst. Selbst wenn du dich überhaupt nicht reich fühlst, du bist es: Du bist in den Augen deines Vaters im Himmel wichtig, egal was andere sagen und wie sie sich dir gegenüber verhalten. Du wirst geliebt. Das prägte die Jerusalemer Gemeinde und genau dazu sind wir eingeladen.

2. Feiere das Geschenk der Gemeinde. Ja, manchmal ist es nicht leicht, “ein Herz und eine Seele“ mit den anderen zu sein. Aber warte nicht, bis die anderen so sind, wie du es dir wünschst, sondern öffne dich für das Geschenk der Geschwister im Glauben. Entscheide dich darum für die Liebe. Frage dich, auf welche Weise der lebendige Gott dir durch diejenigen begegnet, die mit dir zur Gemeinde gehören. Der antike Schriftsteller und Geschichtsschreiber Tertullian zitiert eine damals unter Nicht-Christen gängige Sichtweise über Christen: „Seht, wie haben sie einander so lieb!“ Die Kraft der liebevollen Gemeinde strahlt aus in ihr Umfeld.

3. Lass Gott an deinen Besitz ran. Damit ist nur vermeintlich zuerst die Frage verbunden, wer wofür welche Summe spendet. Zunächst geht es um die Erkenntnis, woran ich mich bewusst oder unbewusst innerlich binde. Wir sind geistlich gesehen nicht Eigentümer unseres Besitzes, sondern dessen Verwalter im Namen Gottes. Kann ich das glauben und wird dies in meinem Verhalten deutlich? John Wesley gab einmal den Ratschlag „Erwirb, soviel du kannst - spare, soviel du kannst - gib, soviel du kannst.“ Wie du auch immer mit dem umgehst, was zu deinem Besitz zählt: Setze ihn zur Ehre Gottes ein und lass Gott die Mitte deines Lebens sein.

4. Suche Gott im neuen Alltag. Lasst uns nicht dem nachtrauern, was vor Corona war oder alle Hoffnung darauf setzen, dass alles wieder so wie früher wird. Es gilt, jetzt den Alltag zu gestalten, jetzt Gemeinde zu sein und herauszufinden, was jetzt dran ist. Wenn Gott allezeit mit uns ist, dann ist er es auch und gerade jetzt!

5. Rechne mit der Wiederkunft Christi. Nach dem oben gesagten klingt dieser Ratschlag wie eine Wiederholung dessen, was in Jerusalem schief lief. Aber das Problem in Jerusalem war nicht, Gott zu glauben, dass er sein begonnenes Wer zum Ziel bringt. Das Problem war, Glauben und Haushalten gegeneinander auszuspielen. Lebendiger Glaube hat sich immer ganz der Welt zugewendet und hat immer ganz darauf vertraut, dass Jesus der wiederkommende Herr ist. Lasst uns die mittlerweile 2000-jährige Verzögerung als Chance begreifen, anderen die Liebe Gottes weiterzugeben und weiterzusagen und trotzdem das Reich Gottes zu erwarten.

 Mit herzlichem Gruß, in Christus verbunden    

Irene und Hartmut Kraft