Angedacht 1.5.2022

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Herzlichen Gruß an alle, die mitlesen!  

 

Haben sie es einmal miterlebt, wenn die Großeltern ihren neugeborenen Enkel oder Verwandte das neugeborene Familienmitglied zum ersten Mal zu sehen bekommen? Vielleicht haben sie es mit ihren eigenen Kindern oder Enkeln erlebt? Da spielen sich oft ähnliche Szenen ab: „Die Augen - gaaaaaanz die Mutter!“ Oder: „Dieses Lächeln, ganz klar unsere Familie! Und seht ihr die Nase? Die ist von Onkel Fritz!“ Einige Jahre später heißt es dann aber auch schon mal „Also dieses Benehmen ist nicht aus unserer Familie!“

Beim Betrachten kleiner Kindern besteht offenbar das Bedürfnis, sie komplett oder in einzelnen körperlichen Merkmalen der eigenen Familie zuzuordnen. Die nächste Generation soll etwas von uns widerspiegeln. Es geht weiter mit der eigenen Familie. Das sind wir!

Titus, an den ein Brief gerichtet ist, der sich im Neuen Testament findet, lebte vor knapp 2000 Jahren. Er war Leiter einer Gemeinde auf der Insel Kreta. Er konnte noch nicht auf eine lange Tradition christlichen Lebens zurück blicken und aus diesen Erfahrungen schöpfen.

Wie lebt es sich als Christin, als Christ? Diese Frage bewegte ihn zusammen mit allen anderen. Was in meiner Lebensführung passt zur Liebe Gottes und was nicht? Wie sieht glaubwürdiger Glaube aus? Was tut uns und mir persönlich gut? Spiegelt sich die Liebe Gottes in meinem Leben erkennbar wider?

Darum geht es im Brief, den er bekommen hat. Genau wird die Frage gestellt:

Sieht man an dir die heilsame Gnade Gottes? Es ist eine einfache und zugleich ins Tiefe gehende Frage. Ja, du hast deinen Glauben. Du berufst dich auf Glaubenserfahrungen. Du hast deine Überzeugungen.

Aber das alltägliche Leben hat oft seine eigenen Gesetzmäßigkeiten und Abhängigkeiten. In den wenigsten Situationen leben wir ganz allein für uns und sind nur uns selbst rechenschaftspflichtig. Wir leben zusammen mit anderen - im privaten Bereich, im Berufsleben, in der Nachbarschaft, unter Freunden...

Für Paulus, den Verfasser des Briefes, ist es wie mit einem Spiegel: Unser Leben spiegelt etwas wider von der Liebe Gottes, von dem, was wir mit Gott erlebt haben. Die Frage ist nur, ob der Spiegel ein gutes Spiegelbild erzeugt oder ob es eher ein Zerrbild ist oder der Spiegel gar gebrochen ist.

Wichtig ist die Formulierung aus Titus 2,11+12a (siehe oben). Sie macht deutlich, dass es Gottes Liebe ist, die uns anregt, das Leben auf Gott auszurichten. Es ist nicht unser Bemühen. Wir haben uns nicht abzurackern in der steten Sorge, nicht genügend für Gott getan zu haben.

 Nein, das Gegenteil ist richtig. Was immer von Gottes Liebe in meinem Leben deutlich wird durch die Art meines Redens und Verhaltens, hat seinen Grund in meiner Begegnung mit Gott. Ohne die Nähe Gottes wird sich kaum etwas bei mir ändern.

Dann aber bewegt die Liebe Gottes mich, selbst andere Menschen mit den Augen der Liebe anzuschauen, sie zu achten, zu würdigen. Dann leitet Gott mich an, gerecht und besonnen zu leben und der versöhnenden Kraft der Gnade Gottes Raum zu geben, wie es weiter im Brief heißt. Auch fast 2000 Jahre nachdem der Brief geschrieben worden ist ist das etwas, was wir selbst und unsere Welt dringend brauchen. Gott segne dich/sie dazu.

 

Mit herzlichem Gruß

Hartmut Kraft